Als wir uns in Shanghai begegnet sind

Als wir uns in Shanghai begegnet sind, von Achim Stegmüller

Mikrokosmos Wohnsiedlung, hier leben die Menschen Tür an Tür,  es wird getuschelt: über Herrn und Frau Black, den Sonderling und seine alkoholkranke Frau, deren Liebe in Shanghai begann nun aber zum Gespött wird; über Juliette, mit dem achten Kind schwanger und ihren achtmal betrogenen Ehemann Roberto und über den Witwer, der lieber mit dem Einbrecher schwatzt als ihn anzeigt. Nur die Kleinfamilie Mutter-Vater-Kind scheint vollkommen, doch die Mutter stirbt.

In vier parallelen Episoden lernen wir die Familien an ihrem Feierabend kennen, ihre Rituale und kleinen Fluchten. Alle stehen unter ständiger Beobachtung und damit im Stress. Es ist der moderne Chor der Nachbarn, der sie nicht in Ruhe läßt, das Geschehen kommentiert und in die Handlung eingreift. Keine Entspannung, nirgends. Das Zuhause und die Familie ist kein Rückzugsort: Juliette flieht zum nächsten Liebhaber; Roberto erstickt die Kinder fast in seiner Überfürsorge, Frau Black gibt sich dem Fernseher hin und der Sohn der Vorbildfamilie bastelt am Gewehr. Das Zusammenleben ist nichts als ein klägliches Konstrukt.

Stegmüller findet verstörende Bilder für die Degeneration in den Familien: Kinder mit Fischköpfen, Krankheiten, die Körper schütteln und Menschen ohne Gedächtnis. Bilder, die an Hieronymus Bosch erinnern und deren Interpretation sich einer einfachen Deutung entzieht.

Ein Stück über das Lebensmodell Familie, das sich aufzulösen beginnt. Menschen, die sich an ein überkommenes Rollenverständnis klammern, geben den Blick auf eine Gesellschaft frei, die das Scheitern produziert, doch für die Verlierer Hohn bereit hält. Eine menschliche Tragödie, die auf leichtem Fuß daherkommt.

Die Jury zum Else-Lasker-Schüler-Preis: „Aus Bruch- und Ersatzstücken all der gescheiterten Kernfamilien und Familienkerne lässt Achim Stegmüller sprach- und assoziationsgewaltige blühende Trümmerlandschaften entstehen, die sich im virtuosen Stilmix über die Tristesse des Alltags erheben, ohne das Tragische dabei zu verbergen. Ein Stück über Schein- und Sein-Identitäten, Illusion und Realität und die Frage nach dem Zusammenhang von eigenem Selbstbildnis und dem prüfenden Blick der Anderen.“

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