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Presse

Presse - Travelling Light Theatre Company

Mutter Furie – http://theaterpur.net

06. Juni 2012

Mit Messer und Apfel

von Dietmar Zimmermann

„Lützen 1632. Frankreich 1870. Stalingrad 1943. Deutschland 1945. Algerien 1961. Irak 1990. Sarajevo 1994. Kenia 2012… - Es ist Krieg. Immer. Irgendwo … Irgendwann.“ So beginnt der Text auf dem Werbe-Flyer der Studio-Bühne Essen für die Produktion. Guy de Maupassants Novelle spielt im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, aber die Bearbeitung der Travelling Light Theatre Company aus Bristol, die der Essener Aufführung zugrunde liegt, geht zu Recht von einer Allgemeingültigkeit des Geschehens aus: Ein Dorf wird im Krieg besetzt, und die einzelnen Familien bekommen feindliche Soldaten zugeteilt, die bei ihnen wohnen werden. In diesem Fall wird eine Mutter, deren Sohn selbst eingezogen wurde, einen jungen Soldaten beherbergen. Die beiden sprechen unterschiedliche Sprachen und verstehen einander nicht, sind aber gezwungen, miteinander auszukommen. Eine brisante, psychologisch interessante Konstellation.

Wie sie endet, erleben wir an der Studio-Bühne in einer Art Prolog gleich zu Beginn der knapp neunzigminütigen Aufführung. Eindringlich schildert Kerstin Plewa-Brodam als „Mutter“ die Durchlöcherung ihres Körpers, die einzelnen Körperteile und Organe, die von Kugeln getroffen werden. „There’s nothing left to breathe“, stöhnt andererseits Stephan Rumphorsts „Soldat“: „Why did you kill me?“ – Der Krieg wird also zwei weitere Tote hinterlassen haben. Warum und wie es dazu kommt, wird spannend zu beobachten sein.

Die Aufführung wird von der neuseeländischen Theaterwissenschaftlerin, Dozentin und Regisseurin Bronwyn Tweddle inszeniert, die derzeit eine Art Sabbatical in Deutschland absolviert. Tweddles Theater, so hatte Stephan Rumphorst bereits im Vorfeld der Premiere geäußert, wirke vorrangig durch Gesten und Bewegungen; dies stehe durchaus im Widerspruch zu seiner bisherigen eigenen Spielweise. Nun: Es funktioniert hervorragend.

Reines Körpertheater, ein choreographisch dargestellter Kampf zur Trommelmusik von Heiko Salmon, der die einzelnen Szenen mit Gitarre und Akkordeon begleitet und gliedert, beschreibt die erste Konfrontation der beiden Protagonisten, als der Soldat erstmals das Haus der Mutter betritt. Kurze verbale Szenen stehen langen stummen Passagen gegenüber; eine reduzierte Sprache und langsame Bewegungen verstärken die Intensität der Inszenierung. Die Entwicklung der Beziehung zwischen Mutter und Soldat wird nahezu ausschließlich über Gesten dargestellt: Automatisch wird der Zuschauer dadurch zu großer Empathie mit den Figuren und zu genauer Beobachtung gezwungen. Ganze Tagesabläufe werden ausschließlich pantomimisch geschildert – da wirkt es dann umso berührender, wenn nach langem, langem Schweigen die Mutter mit einfachen Worten zu erzählen beginnt: „Sie brachten ihn herein. Meinen Mann. Er war tot.“ Nuancen nehmen wir wahr: die tiefe innere Verunsicherung des Soldaten, der sich wider besseres Wissen einzureden versucht, dass es richtig ist zu töten: „for my country“; das Lauernde in den Blicken der Mutter, die den Soldaten kaum aus den Augen lässt aus Angst, etwas falsch zu machen. Wir spüren, da sind zwei verunsicherte, gutwillige Menschen, die voller Misstrauen gegeneinander sind und ihr Verhältnis nicht klären können, denn sie verstehen einander nicht. In Tweddles Inszenierung wird diese Sprachdifferenz sinnfällig deutlich gemacht, denn Rumphorst spricht nur englisch und Plewa-Brodam deutsch – so haben denn doch nicht nur Gestik und Mimik, sondern auch die Sprache exemplarische, symbolische Bedeutung. 

Spannung entsteht aus winzigen Momenten, durch das Auftauchen kleiner Requisiten: Wird die Mutter den Schnaps mit dem Soldaten teilen, wird der Soldat ihr von dem mitgebrachten Apfel abgeben? Ein Messer zum Möhrenschneiden kann auch zur Mordwaffe werden. Es ist ein etwas größeres Küchenmesser – vor unserem geistigen Auge wirkt es überlebensgroß, wie auch der Apfel: Messer und Apfel evozieren Angst und Hungergefühle. Langsam, ganz langsam wächst Vertrauen, später Vertrautheit zwischen den Personen, ungeheuer sensibel wird die Entwicklung der Charaktere, die im Schneckentempo voranschreitende Entspannung der Situation dargestellt. Nach 45 Minuten erscheint erstmals ein Lächeln auf dem Gesicht des Soldaten, und es gibt eine Annäherung durch ein gemeinsames Spiel – doch das Messer bleibt zwischen Mutter und Soldat. Der Soldat berichtet von einem traumatischen Erlebnis. Und das Spiel, wir wissen es ja aus der Eingangsszene, wird irgendwann in Ernst ausarten. Noch wird die Beziehung zwischen Mutter und Soldat wachsen, zu Sympathie werden, sogar Spott aushalten. Im Publikum können wir gar nicht glauben, dass das, was wir zu Beginn gesehen haben, das Ende sein wird.

Von all dem übrigens, von dem Messer und dem Apfel, von den Ängsten und Verunsicherungen bei Mutter Furie und dem Soldaten, von den sensibel erzählten psychologischen Entwicklungen – von all dem steht nichts in Maupassants diesbezüglich eher lakonisch erzählter Geschichte. Manches steht in der vom Travelling Light Theatre für die Uraufführung im Jahre 2006 erarbeiteten Fassung. Aber ganz vieles von dem, was uns in dieser kreativen, von der ersten Minute an hochspannenden Aufführung fasziniert und berührt, ist der Regie von Bronwyn Tweddle und den herausragenden Schauspielern zu verdanken. Das kleine Theater in Essen-Kray hat ein echtes Highlight im Programm.

Kurz und bündig

Eine ganz auf die Wirkung von Gesten und Blicken vertrauende Aufführung, die psychologisches Theater mit konzeptionellem Theater verbindet


 


 

 

„Mutter Furie“ - Packende Psychostudie in der Studio-Bühne – Der Westen

23. März 2012

DSE an der Studio-Bühne Essen

„Mutter Furie“ - Packende Psychostudie in der Studio-Bühne

Ein beklemmendes Antikriegsdrama und zugleich eine packende Psychostudie hat die Neuseeländerin Bronwyn Tweddle für die Studio-Bühne inszeniert. Während der deutschen Erstaufführung von „Mutter Furie“ der englischen Travelling Light Theatre Company war die atemraubende Spannung im Publikumssaal spürbar.

Tweedle entschied sich für ein karges wie neutrales Bühnenbild: Ein Tisch, zwei Stühle, eine Waschschüssel und ein paar abstrakte Kreidezeichnungen am Boden, nichts lässt sich konkret verorten. Wichtig ist nur: Es handelt sich um das Haus einer verwitweten Mutter, deren Sohn in den Krieg gezogen ist. Ein junger Soldat der namenslosen Feindesmacht entert das Domizil und überreicht ihr einen Brief: Ihr Land ist besetzt, bis zum Ende der Kampfhandlungen soll der Eindringling bei ihr wohnen. Angst und Misstrauen beherrschen das Szenario anfangs, unterstützt dadurch, dass die beiden die Sprache des anderen nicht verstehen.

Live-Musikbegleitung

Diesen Kniff verstärkt Tweddle dadurch, dass sie für die Passagen des Soldaten den englischen Originaltext verwendet, die Mutter aber in der deutschen Übersetzung reden lässt. Nur langsam arrangieren die Protagonisten sich, nähern sich an, schließlich scheint die Mutter den feindlichen Soldaten sogar als Ersatzsohn zu akzeptieren. Doch die Wirren des Krieges macht auch von ihnen nicht Halt.

Es ist schon faszinierend, mit welch einfachen Mitteln hier die bedrückende Atmosphäre erzeugt wird. Präzise lässt Tweedle ihre beiden Protagonisten agieren, Kerstin Plewa-Brodam als Mutter und Stephan Rumphorst als Soldat zeigen eine hervorragende darstellerische Leistung auf höchstem Niveau. Bei ihnen sitzt jede Geste, jeder Gesichtszug. Wenn die beiden etwa bei ihrer ersten Begegnung anfangen zu kämpfen, wirkt dies fast schon wie ein Tanz – auch durch die intelligent eingesetzte Live-Musikbegleitung von Heiko Salmon, der mit Gitarre und Akkordeon den Rhythmus des Stücks vorgibt. Ein toller Kontrapunkt zu dem tatsächlichen Tanz der beiden an späterer Stelle.

Ständig ertappt man sich dabei, die Protagonisten genau zu beobachten, ihr Handeln, ihr Schweigen, ihre Blicke zu deuten und zu interpretieren. Denn praktisch allein dadurch transportieren sie das Geschehen und ihr Verhältnis zueinander – das Textbuch des 90-minütigen Stück könnte man wohl ohne Regieanweisungen auf knapp drei Seiten zusammenfassen. Zusätzliche Spannung erhält das Drama durch den Kniff, dass das Ende durch ein surreales Intro vorweggenommen wurde – ständig fragt man sich, wie es wohl dazu kommen wird. So sieht intelligentes Theater aus!

Gordon K. Strahl

 

Neuseeländerin inszeniert deutsche Erstaufführung in der Studio-Bühne – Der Westen

16. März 2012

Eine deutsche Erstaufführung mit internationalem Flair feiert am Mittwoch Premiere in der Studio-Bühne: Für die Inszenierung des englischen Kriegsdramas „Mutter Furie“ konnte das Krayer Amateurtheater die neuseeländische Regisseurin Bronwyn Tweddle gewinnen. Die Dozentin für angewandte Theaterwissenschaften in Wellington hat schon lange eine Vorliebe fürs deutsche Theater.

Neuseeland ist ein Land, das berühmt ist für seine Landschaften, für Rucksacktourismus und Kiwis. Mit Theater fiel das Land am anderen Ende der Welt allerdings bislang kaum auf, was sicherlich auch an der fehlenden Tradition liegt. „Das erste Profitheater in Neuseeland wurde erst 1964 gegründet“, betont Tweddle.

So erwachte ihre Leidenschaft für die Bretter, die die Welt bedeuten, während eines Studentenaustauschs, der sie mit 19 Jahren nach Hamburg brachte: „Ich war ganz begeistert von dem, was ich hier auf den Bühnen gesehen habe.“ So ging sie 1997 nicht nur für ein Auslandssemester nach Berlin, sie brachte später auch deutsches Theater in ihre Heimat: Tweddle gründete die freie Theatertruppe „Quartett“. Dass diese ebenso heißt wie ein berühmtes Stück des ostdeutschen Dramatikers Heiner Müller, ist kein Zufall. „Es war auch unsere erste Inszenierung“, so Tweddle. Weitere deutsche Stücke wie zum Beispiel „Lulu“ von Frank Wedekind folgten.

Im Falle des Stücks, das sie nun im Rahmen eines Forschungsjahrs in Deutschland für die Studio-Bühne in Essen inszeniert, hat sie mit „Mutter Furie“ allerdings ein Werk der englischen „Travelling Light Theatre Company“ gewählt. Der Grund: Die Geschichte eines jungen Soldaten, der in einem Kriegsgebiet das Haus einer Mutter besetzt, passe ideal zu ihrer Art, Regie zu führen. „Das Skript besteht zu zwei Dritteln aus Regieanweisungen“, erläutert Tweddle, die nicht, wie es hierzulande oftmals üblich ist, versucht, die Schauspieler über Emotionen ins Spiel zu bringen – ihr Weg führt über die Bewegungen.

„Es ist das komplette Gegenteil von dem, was ich gewohnt bin“, gibt Stephan Rumphorst zu. Der Berliner Schauspieler und Regisseur schlüpft in die Rolle des Soldaten. „Ich kenne den Weg, bei einer Rolle quasi das Innere, die Gefühlswelt, nach Außen zu kehren – das, was ich fühle, bestimmt auch meine Bewegungen.“ Bronwyn Tweddle gehe es genau umgekehrt an: „Sie arbeitet intensiv an den Choreographien, anhand derer wir die Emotionen der Figuren erörtern.“ Diese eher formalistische Herangehensweise, die von der Choreographin Mary Overlie unter dem Titel „Viewpoints“ ursprünglich für den Tanz entwickelt und von der amerikanischen Regisseurin Anne Bogart fürs Theater adaptiert wurde, habe einen entscheiden Vorteil, so Rumphorst: „Man macht sich viele unbewusste Bewegungsabläufe plötzlich bewusst.“

Gordon K. Strahl