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Presse - Konrad und Ulrike Maurer

Konflikt zwischen Psychoanalyse und Neuropsychologie – Frankfurter Allgemeine Zeitung

19. Oktober 2004

Zur Gastspiel-Aufführung der Inszenierung des Bockshorn-Theaters Würzburg im Schauspiel Frankfurt/ Kleines Haus im Rahmen der 90-Jahrfeier der Johann Wolfgang Goethe-Universität, 17.10.2004.

"Die Akte der Auguste D."
Konrad und Ulrike Maurer, Bühnenfassung Ulrike Hofmann

„Frankfurter Rundschau“, 20.10.2004
„Sie rauft sich am Boden herum, dreht sich im Kreis. Sie ist verzweifelt, hat den Draht zu dieser Welt verloren. Sie hat jene Krankheit, die wir heute Alzheimer nennen: Erst verdämmert ihr Gedächtnis, dann verödet ihr Verstand, jede Orientierung geht flöten. Es gibt nichts mehr, woran sie sich festhalten könnte. (...) Auf der Bühne des „Kleinen Hauses“ im schauspielfrankfurt, stellt die Schauspielerin Jutta Eckhardt den geistigen Verfall der Auguste D., einer 51-jährigen Patientin, die 1901 mit undefinierbaren Symptomen den Frankfurter Irrenarzt Alois Alzheimer aufsuchte, eindrucksvoll dar. Auch den liberalen Gemütsmenschen Alzheimer lernen wir kennen. (...) Charaktervoll spielt Stefan Born die Rolle des humanen Mediziners, der aufgrund persönlicher Probleme zum vom Forschungsdrang getriebenen Workaholic wurde. Das Stück (...) ist kein Schwank von anno dazumal. Sondern informatives Theater, das sich eng an historische Fakten anlehnt, und dennoch mit zeitgemäßer Fiktion unterhält.“

„Frankfurter Allgemeine“, 19.10.2004
„Der Konflikt zwischen Psychoanalyse und Neuropsychologie, Geistes- und Naturwissenschaftlern macht das Stück (...) ungemein aktuell. Alzheimer, nach dem die von ihm beschriebene Hirnkrankheit 1910 benannt wurde, hatte seine Gespräche mit Auguste Deter im Wortlaut festgehalten sowie durch Stimmungsbilder und klinische Befunde ergänzt. (...) Mathias Repiscus hatte die Szenenfolge aus Klinik und Labor realistisch-eindringlich inszeniert: eine ausführliche Anamnese, wie sie nach Auskunft Maurers noch heute praktiziert wird, mit Jutta Eckhardt in der bewegenden Titelrolle und ein flüchtiger Blick auf die Karriere Alzheimers (Stefan Born) im Zwielicht der Wissenschaftsgeschichte.“


Zur Deutschsprachigen Erstaufführung am Theater Bockshorn Würzburg, 29.10.2003

„Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, 2.11.2003
„Der junge Oberarzt Alois Alzheimer ist ziemlich ratlos, als er am 25. November 1901 Auguste Deter zum ersten Mal untersucht und den beklemmenden Dialog mit seiner neuen Patientin in der Krankenakte protokolliert. (...) In der Medizingeschichte des 20. Jahrhunderts hat Alois Alzheimer eine außerordentlich bedeutende Rolle gespielt, während seine Person im verborgenen blieb. Daß wir heute mehr über diesen genialen Wissenschaftler und seine folgenreiche Entdeckung wissen, ist vor allem Konrad Maurer zu verdanken. (...) Die Position des Direktors der Psychiatrie in Frankfurt scheint von Zeit zu Zeit mit einem kreativen Schub verbunden zu sein: Heinrich Hoffmann, Maurers Vorgänger im 19. Jahrhundert, wurde als Struwwelpeter-Autor weltberühmt, Maurer selbst entwickelte sich mit seiner Frau und Ulrike Hofmann zum Theaterautor. „Die Akte Auguste D.“ wurde 2001 im Theater Neumarkt in Zürich uraufgeführt, unter der Regie von Christian Pade, der im Frankfurter Opernhaus „The Turning of the Screw“ inszeniert hat. Jetzt ist die Deutsche Erstaufführung im Kulturspeicher in Würzburg zu sehen: ein Stück von beklemmender Eindringlichkeit. Mit den authentischen Dialogen zwischen Alois Alzheimer und Auguste Deter und einigen Ergänzungen der Autoren wird eine tieftraurige Krankengeschichte und eine große wissenschaftliche Entdeckung zugleich anschaulich. Jutta Eckhardt spielt die zutiefst verstörte Auguste mit bewegender Glaubwürdigkeit, Peter Baumann ist als braver, verunsicherter Ehemann so überzeugend wie Stefan Born als menschenfreundlicher Irrenarzt.“

„Mainpost“, 31.10.2003

„Wenn das Hirn den Geist aufgibt: (...) Auguste Deter erscheint auf der Bühne so, wie sie in der ärztlichen Akte steht: Objekt einer Anteil nehmenden, aber klinisch-nüchternen Untersuchung. Sie ist ein Hirn, das an einer zu erforschenden Krankheit laboriert, und das Sprungbrett in eine medizinische Karriere. (...) Die Vorstellung lebt vom beeindruckenden Spiel der Jutta Eckhardt als Auguste Deter.“


Zur Uraufführung durch das Neumarkt Theater Zürich, 15. Nov. 2001

„Basler Zeitung“, 17.11.2001
„Von denen, die sich sozusagen verloren haben. Wie heissen Sie? Auguste. Familienname? Auguste. Wie heisst Ihr Mann? Ich glaube Auguste. Ihr Mann? Ach so, mein Mann...Sind sie verheiratet? Zu Auguste. Spätestens seit Ronald Reagan seine Erkrankung publik machte, ist „Alzheimer“ ein populärer Begriff. Um die Jahrhundertwende war die „präsenile Demenz“ noch unbekannt und hatte ihren Auftritt mitten in einem Spannungsfeld zwischen Neurologen, für die Geisteskrankheiten nur Hirnkrankheiten sein konnten, und der neuen Freud’schen Psychoanalyse.“

„ „Die Akte Auguste D.“ erzählt den fulminanten ersten Auftritt der Krankheit in ihrer ersten Patientin, die ihren Namen nicht mehr schreiben konnte, weil sie vergass, was sie schreiben wollte, und die sich mit den Worten „Ich habe mich sozusagen verloren“ auf schöne und verwirrende Weise selbst definierte.“

„In starken Bildern und mit sicherem Rhythmus zeigt Regisseur Christian Pade das Voranschreiten der Krankheit, vermeidet die Gefahren des Schulfunkmässigen und scheut sich auch nicht vor Komik, wenn er zum Beispiel vier in Serie geschaltete Wissenschaftler mit fugierter Geschäftigkeit Hirnpräparate herstellen lässt (das Klavier dazu spielt Marino Bernasconi). Oft ist das Zuschauerlachen aber eher ein Lachen aus Beklemmung, wenn die progressive Paralyse zu absurden Situationen führt. Sie führt auch zu poetischen Bildern wie dem, als Auguste (eine überragende Leistung von Ursula Reiter; den Alzheimer spielt Tobias Beyer, ebenfalls in Hochform) im Herbstlaub den Mond heruntergefallen sieht. Mag sich ihrerseits ein Angstzustand darin manifestieren, hat eine solche Äusserung für den Zuschauer zugleich einen verwirrenden poetischen Mehrwert. Grad so, wie das in „sphärische Gebilde“ sich auflösende Gehirn für den Wissenschaftler von eigentümlicher Eleganz sein kann. Und der ganze Abend zugleich schön ist und ein mulmiges Gefühl hinterlässt.“


„Zürichsee-Zeitung“, 17.11.2001
„Aufregend, jenseits aller Trends. (...) Leicht hätte man aus diesen wieder gefundenen Dokumenten und um sie herum eine konfliktreiche Story spinnen können, und es brauchte sicherlich einen gewissen Mut, so stark auf sie selber zu vertrauen. Dass aus verstaubtem Papier faszinierendes Bühnenleben wird, dazu braucht es auch noch anderes: grosse Schauspielkunst. Hinreissend ist Ursula Reiter als Titelfigur, beim ersten Auftritt die gediegene Bürgersfrau, die doch schon auf beklemmende art mit jeder Bewegung, mit ihrem ganzen Mienenspiel selbst ohne Worte Selbstverlust, Entfremdung, Abwesenheit signalisiert (...): grosses Theater und doch auch das, was so oder ähnlich in unserer Nachbarschaft von heute auf morgen Wirklichkeit werden kann.“

„Und so lässt die Regie bei aller dokumentarischen Präzision zum Wohle des Theaterereignisses immer auch dem Spielerischen, dem fantastischem Raum. In einer Mini-Szene finden wir das Ehepaar im Klinikpark letztmals vereint, und ein Lichtfleck auf dem Boden genügt, dass Auguste in ihm den gefallenen Mond erkennt – und damit das unermessliche poetische Potenzial ihrer geistigen Ver-Irrung offenbart“


„züritipp“, 09.11.2001
„Ich habe mich verloren. Globalisierung, Massenentlassungen, Terroranschläge, Krieg – die wahre Bedrohung ist in unseren Köpfen. Vor hundert Jahren hat Alois Alzheimer die nach ihm benannte Krankheit entdeckt.“

„1995 wurde Auguste Deters Krankenakte zufällig im Keller der Klinik für Psychiatrie in Frankfurt am Main gefunden, sie war in einem falschen Jahrzehnt abgelegt worden. Konrad Maurer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Frankfurt und seine Frau Ulrike Maurer haben mit diesem material eine Biographie über Alois Alzheimer geschrieben, Ulrike Hofmann die aufgezeichneten Gespräche fürs Theater bearbeitet. Die Dialoge auf der Bühne zwischen Auguste D. und Alzheimer sind authentisch – und erschütternd.“


„Der Bund“, 17.11.2001
„Der Irrenarzt mit dem Mikroskop. Die Bühnenfassung von Ulrike Hofmann wurde für die Uraufführung am Neumarkt vom Regisseur Christian Pade und dem Dramaturgen Matthias Schubert zu einer „Zürcher Spielfassung“ überarbeitet, die sich in kurzen Szenen vor allem in Arztzimmern, Krankensälen und Labors abspielt und auch das damalige Umfeld des klinischen Betriebs und der Forschung veranschaulicht.“

„Dabei spielt Tobias Beyer den vielbeschäftigten Alzheimer als einen fast besessenen Arzt, dem es nur um seine Forschungsergebnisse zu tun ist, während ihn das persönliche Schicksal der Patienten kaum kümmert. Ursula Reiter zeichnet dagegen ein eindringlich packendes Krankheitsbild der geistesgestörten Auguste D., die sich undurchschaubar zwischen geistiger Präsenz und Abwesenheit oder Verwirrung bewegt.“


„Solothurner Zeitung“, 17.11.2001
„Wenn der Mond auf die Erde fällt – das Zürcher Neumarkt-Theater zeigt „Die Akte Auguste D.“.(...) Erst vor wenigen Jahren wurde die „Akte Auguste D.“ in einem Archiv der Frankfurter Klinik für Psychiatrie aufgefunden. (...) In der tat liegt sehr viel an diesem Dialog und damit in der Dramaturgie, die das Theater braucht. Er führt zur Krankheit, er zeigt die erschütternden Momente und das Leiden der Menschen, die sich in sich selbst verloren haben. Die Gier nach Schlaf, das trippeln durchs Zimmer, die Demütigungen, die keine sind, weil sie das Wissen des Gesunden nicht mehr teilen können. Der Mond fällt auf die Erde, die Märchen werden wahr, und Dr. Alzheimer hat schon damals notiert, dass das leise Singen einer Kindermelodie ein Lächeln auf die sonst starren Gesichter zaubern kann.“


„Live“, 15.11.2001
„Vom Irrenarzt mit dem Mikroskop. - Nicht nur die Alzheimer-Krankheit und ihren Entdecker, den deutschen Irrenarzt Dr. Alois Alzheimer (1864-1915), sondern auch um ein Kapitel Geschichte der Medizin an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geht es in der Uraufführung „Die Akte der Auguste D.“ von Konrad und Ulrike Maurer.“


„Züricher Unterländer“, 15.11.2001
„Fakten und Fiktion. Die Alzheimersche Krankheit ist heute in aller Munde. In westlichen Industriestaaten ist rund ein Prozent der Bevölkerung von dieser nach wie vor unheilbaren Form geistiger Verdunkelung betroffen. Das Theaterstück „Die Akte der Auguste D.“ von Konrad und Ulrike Maurer, das heute in Zürich uraufgeführt wird, nimmt seinen Ausgang bei authentischen Gesprächsmitschriften des Irrenarztes Alois Alzheimer und bindet sie ein in wissenschaftliche Zusammenhänge. Es ist ein Schauspiel zwischen Fakten und Fiktion.“


„Neue Zürcher Zeitung“, 17.11.2001
„Der allererste „Alzheimer“ oder Alles ist Angst. 1100 Gramm. 1100 Gramm zerfurchte, verklumpte grauen Masse und 32 Seiten „aerztliche Acten“: Was die Frankfurter Irrenanstalt dem Münchner Arzt Alois Alzheimer 1906 ins Labor geschickt hatte, sollte sein Triumph werden. Das unscheinbare Paket mit der Geschichte eines unscheinbaren Sterbens war sein Ticket zur Unsterblichkeit. War ein gewichtiges – weil Schrumpfhirn-leichtes – Argument im Streit der Psychologen über Physis und Freud, gerade weil es um ein Krepieren ohne Sprache ging; ohne Würde. Und, fast ein Jahrhundert lang, ohne Namen.“

„Die Berliner Übersetzerin, Verlegerin und Regisseurin Ulrike Hofmann griff den Stoff auf, und am Donnerstag kam „Die Akte der Auguste D.“ am Neumarkt Theater zur Uraufführung.“

„Im ersten – säuberlich protokollierten und abgehefteten – Gespräch zwischen Arzt (ein resoluter Tobias Beyer( und Patientin klammert sich die 51-jährige an ihre Handtasche, zuckt, schiebt den Kopf wie ein verschüchterter Vogel nach vorn. Ihre einzige Sicherheit: ein kleines, rundes Hütchen, le dernier cri der Frankfurter Eisenbahnkanzlistenfrau. Und das wird sie nicht lang behalten dürfen: Ein weisser Anstaltskittel, weisse Anstaltsstrümpfe, schwarze Anstaltspantoffeln – und schon ist sie ein Fall. Ursula Reiter hat diesen fall genau studiert. Sie kennt jede gestische Eigenheit der Kranken: die Hände, die sich wieder und wieder über der Brust zusammenkrampfen; die Finger, die den Mund suchen, aus dem keine Sätze mehr kommen und kaum noch ganze Wörter; das verängstigte Kauern im Bett. Reiters – überzeugende – Auguste hat nicht einen Hauch ionescoschen Spiels, nicht einen Anflug des Lächelns aus Peter Brooks“L’homme qui“. Alles ist Angst.
Kalt und klinisch sieht es denn auch auf Alexander Lintls Bühne aus (der ebenfalls für die Kostüme verantwortlich ist): Die Angst ist schwarz wie der Schatten, den die gesammelten Gehirne werfen, die wie Anselmus in der Flasche in Gläsern vor sich hin dümpeln. Die Angst ist weiss, weiss wie der Boden, wie die verschiebbaren Wände, die ausklappbaren Betten, die rollbare Badewanne. Nichts steht fest gemauert in der Erden, im raschen Episodentheater gehen die Wände wie Vorhänge auf und zu, Labortische, Schreibtische, Stühle und Bänke sind die ruhelosen Requisiten einer Medizin, die gegenüber haltlos gewordenen Menschen ebenso hilflos auftritt.“


„P.S.“, 21.11.2001
„ „Ich habe mich sozusagen verloren“ Das Ensemble-Prinzip , nach welchem Crescentia Dünsser und Otto Kukla die Stücke für das Neumarkt-Ensemble aussuche, weisen oft keine eindeutige Hauptrolle aus. In der „Akte der Auguste D.“ ist jedoch Ursula Reiter, die Auguste Deter in so hervorragender Weise spielt, der Star des Abends. „Auguste D.“ ist kein Schwank, auch wenn es, wie im täglichen Umgang mit Geriatrie-/Demenz-PatientInnen, immer mal wieder zum Schreien komisch ist, sondern eine tragisch-traurige Geschichte von einer Frau, die von sich sagt: „Ich habe mich sozusagen verloren“. Dabei gelingt es Reiter unter der Regie von Christian Pade, die Ambivalenz einer Alzheimer-Kranken auf den Punkt zu bringen. Der Zustand verschlechtert sich zusehends und sie kann nicht mal den Namen ihres Mannes sagen. Dann plötzlich flackert die Erinnerung auf und sie erzählt in mehreren logisch zusammenhängenden Sätzen aus ihrer Vergangenheit, um kurz darauf nicht mal mehr einen Bleistift richtig benennen zu können.“

„(Das Stück) besteht glücklicherweise vornehmlich aus der Frankfurter Zeit und den Unterhaltungen zwischen Alzheimer und Auguste D., wird dann leider durch eine Pause unterbrochen, worunter die Spannung deutlich leidet, um schliesslich im Labor zu München weiter zuspielen. Neben der hervorragenden Ursula Reiter ist vor allem das verspielte und technisch sehr raffinierte Bühnenbild von Alexander Lintl auffallend. Lintl schafft es, die verschiedenen Räume wie Schlafsaal, Badezimmer, Büro, Parkbank oder Labor im selben, kleinen Raum unterzubringen, ohne dass die Umbauten nach wirklich grossen Pausen verlangen, und das ohne die technischen Mittel oder die grosse Bühne wie ein Pfauen. Wenn man die Raffinesse Lintls sieht, fällt einem die bestechende Einfachheit auf, doch darauf musste erst einer kommen – Chapeau! Diese „Details“, neben der schauspielerischen Leistung des gesamten (verstärkten) Ensembles machen aus diesem Theaterabend ein langanhaltendes Erlebnis, wobei die Gedanken immer wieder um die Darstellung Ursula Reiters der Auguste D. drehen. Sie war eine Wucht.“

„Tagesanzeiger“, 17.11.2001
„Alzheimers Hirnschnitt, lichtgrün. An Auguste Deter hat Alzheimer die nach ihm benannte Hirnkrankheit entdeckt. Erst 1995 hat man ihre Akte durch Zufall gefunden. Minuziös protokollierte der Irrenarzt darin seine Beobachtungen und Gespräche. Konrad und Ulrike Maurer haben die Krankengeschichte für eine Biographie des Forschers Alzheimers verwendet (Piper Verlag), und Ulrike Hofmann hat daraus jetzt ein Stück gemacht.“

„Immer wieder löchert der Arzt die Patientin mit Fragen, immer wieder soll sie Namen, Datum, Gegenstände nennen. Tobias Beyer als Alzheimer macht zum Glück schnell und lässt bärbeissiges Mitgefühl ahnen. Und Ursula Reiter hat für Auguste viele Töne und Gesten. Sie gibt ihr einen Gang, der immer breiter und eckiger wird, sie wimmert und ballt die Fäuste, lässt das Hemd verrutschen und die Haare strähnig werden, sie ist verquält, schreckhaft, bockig, krümmt sich wie ein Embryo oder legt erschöpft den Kopf an die ärztliche Schulter:“Ich habe mich irgendwie verloren.“(...) Das Premierenpublikum freute sich. Nach zweieinviertel Stunden gabs viel Beifall.“

 

Eine Liebesgeschichte im Zeichen des grössten Leids – DRS2 KULTUR“

15. November 2001

Zur Uraufführung "Die Akte Auguste D." am Theater Neumarkt in Zürich:

 

DRS2 KULTUR“, 15.11.2001
„Sie lebten vor 100 Jahren in Deutschland. Sassen im gleichen Raum vornübergebeugt über ihre Mikroskope. Sie hiessen Hans-Gerhard Creutzfeld, Alfons Jakob, oder Alois Alzheimer. Heute noch – genauer: wieder- kennt jedes Kind ihre Namen. Sie stehen für Leiden, die bis heute dem Menschen das wegnehmen, was ihn zum Menschen macht: die körperliche und geistige Souveränität über sich selbst. Ihr Ehrgeiz und ihre Leidenschaft gehörten jenem wunderbar gefurchten und verschlungenen, symetrisch gewölbten Organ unter der Schädeldecke, das seine Geheimnisse noch längst nicht preisgegeben hat, auch die Geheimnisse seiner schrecklichsten Deformationen. So wickelten sie liebevoll Gehirn um Gehirn aus nassen Tüchern, sezierten, tranchierten, färbten die Präparate ein mit bunten Lösungen aus gläsernen Phiolen, um den klärenden Blick ins Inneren der stumpfen, schwabbeligen grauen Masse zu erhaschen. Denn sie waren überzeugt, dass physisch abzulesen sein würde, woran ihre Patienten seelisch und körperlich gelitten hatten. Dafür mussten sie kämpfen, gegen die Seelenforscher ihrer Zeit, auch mit klingenden Namen, Freud, Jung, Frank...
All das ist zu sehen und zu hören auf der von Alexander Lintl langgebauten, nüchternen Bühne des Neumarkttheaters. Die Saalfenster diskret vergittert. Weisse Schiebewände und Betten, rohgezimmerte Pulte und Tische, grüne Schirmlampen und Badewannen mit zierlich geschwungenen Füssen, in denen Badekuren praktiziert anstatt Zwangsjacken appliziert werden. Ein Stück Wissenschaftsgeschichte also. Dokumentarisch von Konrad und Ulrike Maurer gestaltet und von Ulrike Hofmann in eine Bühnenfassung gebracht.“

„Die Dialoge sind gespenstisch. Absurd. Fiktion eigentlich. Ursula Reiter zeigt ihre Facetten beklemmend, wund und weich: Folgsam wie ein Mädchen und mit liebem Blick neigt sie sich Alzheimer entgegen und schon versackt ihr Blick ins Leere. Dann begehrt sie auf. In der Würde verletzt. In panischer Angst. Auguste ist passiv. Sprunghaft. Unberechenbar. Unlesbar. Erschreckend. (...) Tobias Beyer (als Dr. Alzheimer) spielt das energisch durchgebogene Rückgrat des kleinen Gottes im weissen Kittel, Zigarre zwischen den Lippen. Aber sein Ehrgeiz ist fortschrittlich: Mittelalterliche Klinikmethoden lehnt er ab und stampft schon mal wütend auf die Fliesen. Christian Pade inszeniert diese Beziehung spröde und ohne Schnörkel, vor allem keine psychologisierenden. Aber er gibt den beiden fabelhaften Schauspielern viel menschlichen Zwischenraum. Und in den intensivsten Augenblicken sehen wir fast eine Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte im Zeichen des grössten Leids. Langer, fester Applaus.“