Sprengen ist eine Option – Theater heute (07/2015)
01. Juli 2015
von Torben Gruscher
"Klassisches Drama, aber durchaus themaspezifisch, findet sich bei „The Working Dead“, geschrieben von Jörg Menke-Peitzmeyer und inszeniert von Jörg Steinberg für das Berliner Theater Strahl. Ohne Vergangenheit gibt es auch hier für die drei Protagonisten Jenny (Banafshe Hourmazdi), Finn (Franz Lenski) und Thamara (Alice Bauer) keine Zukunft. Während die drei Jugendlichen ihren persönlichen Weg zwischen Flucht in die Kunst, Anerkennen der Realität oder dem radikalen Zugriff des Sprengmeisters suchen, werden sie von den Erinnerungen der alten Industriehallen in Form von Zombies (und mit atmosphärischer Livemusik von Thomas Meyer und Felix Süpply) heimgesucht.
"Diese versammeln sich an ihrer alten Arbeitsstätte, ihrem ehemaligen Lebensmittelpunkt, um ihr Wirken im Elektrokombinat in Berlin-Oberschöneweide Revue passieren zu lassen und dabei textlich hier und da wie Epigonen des großen Heiner Müller daherkommen. Berichte aus verlorener, aber nicht unbedingt guter Zeit.
Zum Figurentableau gehören auch Eltern und Großeltern, die als gefühlte Wendeverlierer ihre ganz eigene Sicht auf das Jetzt, dieses unendlich lange Scharnier zwischen Vergangenheit und Zukunft haben. Gibt es einen Ausweg aus der ständigen Reproduktion der geplatzten Träume? Jenny ist die große Verfechterin dieses Jetzt, doch das ist gar nicht so einfach zu bewerkstelligen, wenn die Welt so ist, wie sie ist. Also doch alles sprengen, wie Finn es träumt? Minutiös verlässt der Text dieses Terrain, und Steinberg verlässt sich ganz auf die geschriebenen Figuren, die in einer Europallettenlandschaft von Fred Pommerehn agieren. Ein düsterer Abend. Vielleicht ist Sprengen tatsächlich eine Option. In Berlin wird das Stück allerdings in der alten KAOS-Industriehalleaufgeführt. Die steht unter Denkmalschutz."
The Working Dead – Zitty (12/2015)
28. Mai 2015
von Regine Bruckmann
Kann man das machen: einen Zombie-Chor auftreten lassen, dessen Mitglieder von „Starkstromkabeln“ und „Katalyt-Brennern“ reden, weil sie mal Arbeiter waren?
Regisseur Jörg Steinberg kann. Die Senioren, die hier als Untote auftreten, schlurfen graugesichtig über die Bühne in der stillgelegten Industriehalle und irgendwie kauft man ihnen in der zwischen Arbeiterromantik und Gruseleffekten changierenden Darstellung ab, tatsächlich die Geister des ehemaligen Industriestandortes Oberschöneweide zu sein. Aber es gibt auch die Jungen, die Lebenden – Jenny, Finn und Thamara, die von einer eigenen Zukunft träumen, als Friseurin, von einer Tanzkarriere oder davon, die ganze Misere auffliegen zu lassen und alles wegzusprengen.
Aus einer langen Recherchephase, in der Jugendliche ihren Stadtteil erforscht und Interviews mit ehemaligen Arbeitern und Arbeiterinnen gemacht haben, ist weder DDR-Nostalgie noch Nach-Wendetristesse entstanden, sondern ein kraftvolles Stück Berliner Stadtteilgeschichte.
Der bewährte Autor Jörg Menke-Peitzmeyer hat sich entschieden, in der Fiktion die Dokumentation unterzubringen und nicht umgekehrt. Er leistet sich einen literarisch überhöhten Ton und gleichzeitig einen berlinisch anmutenden Mutterwitz. Das Jugendtheater Strahl traut sich was – gut so.
Theater Strahl in Oberschöneweide – Inforadio Kultur / rbb
20. Mai 2015
von Susanne Bruha
Das Jugendtheater Strahl ist immer Mal an unterschiedlichen Spielorten jenseits vom Heimkiez Schöneberg zu sehen. Im Oberschöneweider Industriegebiet war das Theater allerdings noch nie. Am Dienstag abend gab es dort eine Uraufführung des Theaters: "The Working Dead. Ein hartes Stück Arbeit" in der Industriehalle KAOS.
Der Industriestandort Oberschöneweide ist schon 25 Jahre lang Geschichte als die Jugendlichen Finn, Jenny und Thamara hier durch die Hallen streifen.
Jenny will Friseurin werden, aber vor allem im Hier und Jetzt leben, Thamara träumt von einer Tänzerinnenkarriere und alle drei sind getrieben von den Nachwende-Arbeitlosigkeiten ihrer Eltern. Ein Beruf, richtige Arbeit - das ist das, was zählt, gerade weil der eigene Vater keine fünf zusammenhängenden Arbeitsjahre aufweisen kann, Opa sich hingegen 38 Jahre halb tot geschuftet hat.
Die Jugendlichen treffen eines nachts in den Industriehallen auf diese Opa-Generation, den Chor der untoten Fabrikarbeiter, es singen und spielen 21 Berliner Seniorinnen und Senioren.
Zombiemäßig schleppen sich die gebeugten Arbeitergestalten in graublauen Kitteln über die Bühne durch die Oberschöneweider Häuserschluchten, gebaut aus Europalettentürmen. Rauch, der auch Staub sein könnte, versinnbildlicht die Mühe jahrzehntelanger Arbe
Der ehemalige Industriestandort Oberschöneweide ist nicht nur Kulisse, sondern lebendiger Zeitzeuge, Straßen- und Imbissnamen werden auf der Bühne geadelt, Lokalgrößen und zum Scheitern verdonnerten DDR-Existenzen ein Denkmal gesetzt. Ostdeutsche Alltagserinnerungskultur mit Goldkrone und Frank Schöbel in der Kehle trifft hier auf eine allgemeingültige Erinnerung an frühere Arbeitswelten und ihrem Vergleich mit dem Druck, den die Jungen heute spüren.
Das Stück ist nur bisschen mehr als anderthalb Stunden lang und bündelt ein beeindruckende Menge an Themen. Das Besondere: Text und Inszenierung treffen die feinen Zwischentöne, sozialdemokratische Arbeitsträume auf der einen Seite, auf marxsche Kritik an entfremdeter Arbeit, Umgang mit dem Industrieerbe, seinen Gebäuden, den Menschen und der Würdigung ihrer Lebensleistung.
Ein enorm gründlich recherchiertes Material, präzise verdichtet und ohne Schnörkel klar auf die Bühne gebracht. Am Ende: Ein tolles Stück Communityarbeit. Ein Gänsehaut-Abend nicht zuletzt durch die Senioren, die ganzen Biografien, geatmete Erinnerungen und das echte Oberschöneweide drumherum!