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Presse - Lia Nirgad
Sichtbar gemachte Trauer – Elbe Jeetzel Zeitung
18. November 2019
Ursula Pehlke mit ihrem Tanztheaterstück "Sarah SaysSarah Sagt" under der November-Blues
st
Hitzacker. Novemberstimmung, es ist kalt und leichter Nebel zieht auf. Das Oktogon in Hitzacker wird außen von flackernden Kerzen markiert und am Wegesrand liegen - sind das wirklich Knochen? Ja, Knochen. Der Raum selbst ist halb dunkel, die Bühne fast leer bis auf eine Art Haus aus Papierstreifen, die von der Decke hängen. Seltsame Musik erklingt, Schatten tanzen, etwas bewegt sich. Sarah schiebt sich langsam aus dem Haus ins Freie. Sarah sagt, dass sie die Knochen der Mutter ausgraben und mitnehmen will. Eine Stimme aus dem Off ertönt, Sarahs Schwester ist dagegen, aber Sarah lässt sich nicht abhalten.
Wir sind bei der Premiere von "Sarah SaysSarah Sagt", einem Butoh-Tanztheaterstück von Lia Nirgad, und das ist eine sehr spezielle Erfahrung."Butoh ist eine Rückbesinnung auf das wahre Sein des Menschen" heißt es in einer Werbung für entsprechende Tanzworkshops. Und zum 2wahren Sein" gehören natürlich Gefühle, besonders die großen, die eng mit traumatischen Erlebnissen zusammenhängen, zum Beispiel hier dem Tod der Mutter. Wir erleben die mit sparsamsten Bewegungen zu sparsamer Musik erzählte Geschichte einer Trauerarbeit. Sarah kann und will nicht loslassen, die Schwester will nur weg, irgendwohin, wo es besser ist.
Ursula Pehlke ist Sarah, sie sammelt die Knochen, sie packt sie in den Koffer der Mutter, die so gerne gereist ist, sie entblößt sich und ihre Gefühle, ohne dabei die Kleidung abzulegen. "Wie liebt man eine Mutter, die tot ist?" fragt sie mit jeder Bewegung, und ihre Körperspannung, die Musik und ihre Gesten übertragen sich auf den ganzen, fast vollen Raum. Man könnte die Geschichte mit den Worten der Dichterin Mascha Kaleko zusammenfassen: "Bedenkt: Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der andren muss man leben." Und Sarah versucht es, aber es ist so schwer.
Es gibt Leute, die bewahren die Asche ihrer Verstorbenen in einer Urne auf dem Kaminsims, wir horten Andenken, begehen gerade im November Jahrestage mit manchmal seltsamen Ritualen. Sarah hat die Knochen, sie fügt sie zusammen, verteilt sie auf ihrem Körper, sinniert über die Frage, ob man vielleicht wenigstens eine Hand der Mutter wieder herstellen könnte. Das wirkt manchmal durchaus skurril, aber überhaupt nicht makaber oder zynisch und hat rein gar nichts mit den mit den dunklen Riten heutiger "Grufties" zu tun. Es ist eine sichtbar gemachte Trauer, die sichtbar werdende Arbeit, wieder ins Leben zu finden und die Toten ruhen zu lassen. Was im wahren Leben Jahre dauern kann, erzählt Ursula Pehlke hier in einer langsamen, aber trotzdem kurzweiligen Stunde. Als die vorbei ist, herrscht einige Augenblicke Dunkelheit und gespannte Stille. Wo sind wir jetzt, was haben wir gerade erlebt? Doch dann applaudieren die Zuschauer erst zögernd, aber dann lange und kräftig - auch eine Befreiung.
Human Chekpoint: Leben am Grenzübergang – Wolfsburger Allgemeine Zeitung
10. Mai 2012
Human Checkpoint: Leben am Grenzübergang
Auf der Hinterbühne: Stück der israelischen Schriftstellerin Lia Nirgad im Theater aufgeführt
von km
Ausweiskontrolle. Schmuck ablegen. Koffer öffnen. Schuhe ausziehen. Drei Frauen unterschiedlichen Alters erleben diese alltäglichen Schikanen an einer Starßensperre zwischen Jerusalem und Ramallah. Am Montag wurde das Dokumentarstück "Human Checkpoint - Winter in Qualandia" der israelischen Schriftstellerin Lia Nirgad auf der Hinterbühne des Theaters gezeigt.
Die Frauen sind nervös und zornig, ängstlich und gedemütigt. In der Inszenierung von Sabine Loew bewegen sich Anja Bilabel, Nicole Horny und Angelika Sieburg auf einem abgesteckten Rechteck zwischen Kartons und Klebebändern. Ständig entsteht eine neue Situation am Kontrollpunkt, ständig wird die Lage der Kartons (Sperren) verändert, täglich warten hunderte Palästinenser darauf, die Grenze nach Israel übertreten zu dürfen.
Die Frauen sind Mitglieder der freiwilligen Hilfsorganisation Machsom Match (Checkpoint-Wache). Sie wollen helfen und schlichten, wenn überforderte Soldaten bürokratisch und unmenschliche reagieren. Die Stimmung ist explosiv, die Furcht vor Terroristen und Selbstmordattentätern allgegenwärtig.
Die Protagonistinnen treten immer wieder aus ihren Rollen heraus. Sie erklären, sprechen mit den Zuschauern, schildern Schicksale, verdeutlichen die Ohnmacht des Einzelnen. Sie ergreifen keine Partei, heben nicht den moralischen Zeigefinger, hüten sich vor Pathos und Larmoyanz. Nüchterne Protokolle werden gewissermaßen spielerisch umgesetzt, bisweilen mit einer Art absurden Humors und wohl gerade deshalb so grausam und beklemmend in der Aussage.
Das beklemmende Leben am Grenzposten – Wolfsburger Nachrichten
09. Mai 2012
Zum Gastspiel des WuWei-Theaters Frankfurt in Wolfsburg
Das beklemmende Leben am Grenzposten. Drei Schauspielerinnen trafen den Nerv - Theaterbesucher verfolgten gebannt aufrüttelndes Stück.
Von Johannes Baumert
Beobachtungen an einer Straßensperre zwischen Jerusalem und Ramallah erinnerten am Montag auf der Hinterbühne des Theaters an so manche Begebenheit, die man einst auch an der innerdeutschen Grenze erleben konnte.
Das Dokumentarstück von Lia Nirgad fußt auf ihrem Roman "Winter in Qualandia" und wurde in seiner deutschsprachigen Erstaufführung gezeigt. Es trug zusätzlich den Titel "Human Checkpoint".
Anja Bilabel, Nicole Horny und Angelika Sieburg waren unter der Regie von Sabine Loew drei Beobachterinnen, die über Jahre den Grenzposten im Auge hatten. Gleichzeitig aber schlüpften sie in die Rollen aller anderen Personen, die in dem aufrüttelnden Stück eine Rolle spielten.
Die Kulisse war einfach und sehr flexibel gehalten. Sie bestand aus ein paar Pappkartons und einigen Rollen Klebestreifen. Damit wurden die Kontrollstellen markiert, die sich im Laufe der Jahre den neuen Techniken anpassten, von einer einfachen Schleuse zu undurchdringlichen Mauern. Doch auch die ausführenden Organe verhinderten immer wieder den Grenzübertritt. Es war ein Kampf zwischen den Israelis und ihren palästinensischen Nachbarn. Da spielte es auch keine Rolle, ob es eine schwangere Frau oder eine Mutter mit kranken Kindern war, die nach Jerusalem wollten.
Doch auch die Grenzposten fühlten sich vielen Situationen einfach nicht gewachsen und zogen sich auf ihre Anweisungen zurück, nach denen sie sich richten mussten. Sie mussten sich ständig entscheiden, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Da half es wenig, dass die Frauen einer Hilfsorganisation den bedrängten Menschen zur Seite stehen wollten. Sie versuchten jedenfalls, dort um Verständnis zu werben und zu schlichten, wo Befehle und Anträge versagten.
Die - leider nur sehr wenigen - Theaterbesucher folgten gebannt und emotional angesprochen dem Geschehen, das man auch heute immer wieder an den Grenzkontrollpunkten zwischen dem Staat Israel und seinen palästinensischen Nachbarn in der Realität beobachten kann. Die drei Schauspielerinnen hatten den Nerv getroffen.